Leaky Gut - Krankheitsbild oder Mythos?

Leaky Gut Mythos oder echt

Okay, dein Heilpraktiker hat all deine Probleme auf einen “Leaky Gut”, also einen “durchlässigen Darm” zurückgeführt. Aber deine Ärztin meinte, dass sie das Wort “Leaky Gut” noch nie gehört hat. Ist ihr Wissen veraltet oder hat dein Heilpraktiker mit seiner Leaky Gut Diagnose einen tollen Grund gefunden, dir tausende Euro in Nahrungsergänzungsmitteln anzudrehen?

Wir gehen der Frage nach, ob es sich beim vielfach von Fachkreisen und Medien aufgegriffenen „Leaky Gut–Syndrom“ um ein valides Krankheitsbild oder eher um einen Mythos handelt.

Darmbarriere und „Leaky Gut“

Das Ergebnis einer Google-Suche mit über dreizehn Millionen Hits offenbart, dass die Begriffe „Leaky Gut“ und “Leaky Gut Syndrom” ein derzeit sehr gefragtes Thema sind.

Im Netz findet man zahlreiche Aufzählungen von “Leaky Gut” Symptomen, Beschreibungen von Diagnosen und mutmaßlich dazugehörige Krankheitsbilder.

Auch bei der Suche nach möglichen Behandlungsmethoden vom Leaky Gut Syndrom findet man zahlreiche Artikel und Bücher sowie Produkte, die eine Milderung der Symptome oder gar eine Heilung des “Leaky Gut Syndroms” versprechen.

Schauen wir uns zunächst einmal die Darmbarriere an. Denn um die geht es hier.

Die Darmbarriere ist eine funktionelle Einheit, welche das Darminnere vom Körperinneren trennt. Sie hat die Aufgabe, einerseits Nährstoffe durchzulassen, und andererseits „Schädliches“ abzuwehren. Das kannst du dir vorstellen wie einen Türsteher vor einem Club, der nur Leute über 18 reinlässt. Alle anderen müssen draußen bleiben. Es ist notwendig, dass der Darm auf eine gewisse Weise durchlässig ist, damit wir Nährstoffe aus dem Essen überhaupt aufnehmen können. Diese Durchlässigkeit des Darms heißt in Fachkreisen: Intestinale Permeabilität.

Messung der Darmdurchlässigkeit

Um festzustellen, wie durchlässig die Darmwand ist, werden verschiedene Tests verwendet. Einer davon ist der Lactulose-Mannitol-Test, auch Lac:Man-Test genannt. Dieser Test wird in vielen wissenschaftlichen Studien verwendet und gilt als Goldstandard. Dabei wird das Verhältnis von Mannitol, einem kleinen Zuckeralkoholmolekül, das durch die Darmzellen aufgenommen wird, und Lactulose, einem größeren Disaccharid, das durch die Tight Junctions zwischen den Zellen in das Blut gelangt, im Urin vor und nach dem Trinken einer Lactulose-Mannitol-Lösung gemessen. Dieser Test liefert eine gute Einschätzung der Darmgesundheit, da er zeigt, über welchen Weg größere Moleküle die Darmbarriere passieren. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es noch keine festen Referenzwerte für den Test gibt und es Probleme bei der Standardisierung der Ergebnisse gibt, insbesondere wenn alle Teilnehmer ihren Urin über einen bestimmten Zeitraum sammeln müssen. (1)

Eine kürzlich durchgeführte Studie von Seethaler et al. im Jahr 2021 untersuchte 51 gesunde normalgewichtige und 27 übergewichtige Personen, um geeignete Biomarker zur Messung der Darmdurchlässigkeit zu validieren. (2) Frühere Studien hatten gezeigt, dass die Darmdurchlässigkeit mit dem Körpergewicht zusammenhängt. (3) In dieser aktuellen Studie wurden die Ergebnisse der Lac:Man-Tests mit den Ergebnissen von Biomarker-Analysen verglichen. Als Biomarker wurden Lipopolysaccharid-bindende Proteine (LBP) und Zonulin verwendet. Es wurde untersucht, ob es eine Korrelation zwischen den Ergebnissen der Lac:Man-Tests und dem Nachweis von LBP im Blut sowie Zonulin im Stuhl gab.

Die Studie ergab, dass LBP bei allen Untersuchungsgruppen mit dem Lac:Man-Test korrelierte. Das Zonulin war jedoch nur im Stuhl der übergewichtigen Teilnehmer erhöht und zeigte eine Übereinstimmung mit dem Lac:Man-Test. Bei den normalgewichtigen Teilnehmern wurde hingegen keine Übereinstimmung festgestellt. Dies deutet darauf hin, dass LBP als Biomarker für die Darmdurchlässigkeit geeignet ist, während Zonulin als spezifischer Marker für die Tight Junctions in der Darmwand nur bei übergewichtigen Personen mit erhöhter Durchlässigkeit nachweisbar ist. (2)

Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, unser Verständnis der Darmgesundheit und der Messung der Darmdurchlässigkeit zu erweitern. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass weitere Forschung erforderlich ist, um die Bedeutung und Anwendung dieser Biomarker in der klinischen Praxis zu bestätigen. Es gibt noch keinen zuverlässigen “Leaky Gut”-Test, der von allen Forschern anerkannt ist.

Erkrankungen im Zusammenhang mit einer gestörten Darmbarriere

Es wird immer wieder behauptet, dass eine gestörte Darmbarriere eine Rolle bei verschiedenen Krankheitsbildern spielen kann, darunter entzündliche Darmerkrankungen, Allergien, Autoimmunerkrankungen, neurologische Störungen und Stoffwechselerkrankungen. Doch wie steht es um die wissenschaftliche Evidenz für diese Behauptungen?

Tatsächlich zeigen immer mehr Studien einen Zusammenhang zwischen einer chronisch erhöhten Darmdurchlässigkeit (“Leaky Gut”) und bestimmten Erkrankungen. Es hat sich gezeigt, dass die Durchlässigkeit des Darms bei verschiedenen Krankheiten zunimmt - nicht nur bei entzündlichen Darmerkrankungen, sondern auch bei systemischen Erkrankungen wie Diabetes, chronischen Nierenfunktionsstörungen, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. (4)

Allerdings ist es wichtig zu beachten, dass die Ursache-Wirkungs-Beziehung nicht in allen Fällen eindeutig geklärt ist. Es ist gut möglich, dass die gestörte Darmbarriere eine Folge der Erkrankung ist, anstatt deren Ursache. Eventuell macht nicht der “Leaky Gut” krank, sondern die Krankheit führt zu “Leaky Gut”.

Auch scheint die Darmflora (die intestinale Mikrobiota) eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen. Häufig korreliert eine Veränderte Mikrobiota mit einer erhöhten Darmpermeabilität. Bei Kindern mit Allergien können zum Beispiel Veränderungen der Darmflora sowie eine erhöhte Durchlässigkeit des Darms beobachtet werden. (5)

Aber nicht nur Erkrankungen, auch das, was wir essen, hat einen Einfluss auf die Darmbarriere und die Durchlässigkeit des Darms. Ebenso können Infektionen, Medikamente und Drogen die Darmdurchlässigkeit beeinflussen. (6)

Fazit: Gibt es also das Leaky Gut Syndrom oder nicht?

Stand: Juni 2023. Die Darmbarriere ist super komplex und hat eine große Bedeutung für die Gesundheit. Leaky Gut ist jedoch kein eigenständiges Krankheitsbild, was alle deine Symptome auf einfache Art und Weise erklärt. Vielmehr kann die Darmdurchlässigkeit bei bestimmten Erkrankungen oder in besonderen Situationen erhöht sein. Außerdem gibt es bisher keine Messmethode, die verlässlich die Durchlässigkeit der Darmbarriere aufzeigen kann. Die Forschung steckt hier noch in den Kinderschuhen.

Das Wort “Leaky Gut” nutze ich, um eine erhöhte Durchlässigkeit des Darms zu beschreiben, weil mich immer wieder Fragen mit dieser konkreten Wortwahl erreichen. Ich finde es jedoch fahrlässig, wenn jemand ein “Leaky Gut-Syndrom” diagnostiziert, weil das Unsicherheit und Angst verursachen kann. Im besten Fall gibst du nur unnötig Geld für die “Behandlung des Leaky Gut-Syndroms” aus. Im schlimmsten Fall ignorierst du nach solch einer Diagnose deine Symptome, suchst keinen Arzt/keine Ärztin auf und verhinderst so, dass die tatsächliche Ursache deiner Beschwerden gefunden wird.

Hinzu kommt, dass viele der im Zusammenhang mit "Leaky Gut" angebotenen Nahrungsergänzungsmittel nicht ausreichend oder gar nicht wissenschaftlich erforscht sind.

Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt, und viele Hersteller nutzen die wachsende Aufmerksamkeit für das "Leaky Gut"-Syndrom, um ihre Produkte zu vermarkten. Diese Produkte versprechen oft eine Verbesserung der Darmgesundheit, eine Stärkung der Darmbarriere oder eine Linderung der mit einem "Leaky Gut" in Verbindung gebrachten Symptome.

Viele der beworbenen Inhaltsstoffe basieren jedoch nur auf theoretischen Annahmen und traditionellen Heilmethoden, anstatt auf umfassenden wissenschaftlichen Studien.

Ein Beispiel für ein weit verbreitetes Nahrungsergänzungsmittel im Zusammenhang mit "Leaky Gut" ist Glutamin. Glutamin ist eine Aminosäure, die eine wichtige Rolle im Darmgewebe spielt. Es wird oft als Unterstützung für die Darmgesundheit empfohlen. Einige Studien weisen auf eine positive Wirkung von Glutamin auf die Darmbarriere hin. Doch weitere Forschung ist erforderlich, um die genauen Dosierungen zu bestimmen.

Ähnlich verhält es sich mit anderen Nahrungsergänzungsmitteln wie Probiotika, Präbiotika, Enzymen und Kräuterpräparaten, die im Zusammenhang mit einem "Leaky Gut" angeboten werden. Obwohl es einige vielversprechende Studien gibt, die auf potenzielle Vorteile hinweisen, ist die Forschungslage oft uneinheitlich und die Qualität der Studien variiert erheblich.

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Quellen:

(1) Gan, J., Nazarian, S., Teare, J. et al. A case for improved assessment of gut permeability: a meta-analysis quantifying the lactulose:mannitol ratio in coeliac and Crohn’s disease. BMC Gastroenterol 22, 16 (2022). https://doi.org/10.1186/s12876-021-02082-z

(2) Seethaler B et al. (2021): Biomarkers for assessment of intestinal permeability in clinical practice. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol321: G11–G17, doi: https://doi.org/10.1152/ajpgi.00113.2021

(3) Damms-Machado A et al. (2017): Gut permeability is related to body weight,fatty liver disease, and insulin resistance in obese individuals under-going weight reduction. Am J Clin Nutr; 105:127–135, doi: https://doi.org/10.3945/ajcn.116.131110

(4) Usuda H, Okamoto T, Wada K. Leaky Gut: Effect of Dietary Fiber and Fats on Microbiome and Intestinal Barrier. Int J Mol Sci. 2021 Jul 16;22(14):7613. doi: 10.3390/ijms22147613. PMID: 34299233; PMCID: PMC8305009.

(5) Niewiem M, Grzybowska-Chlebowczyk U. Intestinal Barrier Permeability in Allergic Diseases. Nutrients. 2022 Apr 30;14(9):1893. doi: 10.3390/nu14091893. PMID: 35565858; PMCID: PMC9101724.

(6) Khoshbin K, Camilleri M. Effects of dietary components on intestinal permeability in health and disease. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2020 Nov 1;319(5):G589-G608. doi: 10.1152/ajpgi.00245.2020. Epub 2020 Sep 9. PMID: 32902315; PMCID: PMC8087346.

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